In einer Schamkultur wird der Wert einer Person durch Geburt, Rang oder gesellschaftliche Stellung bestimmt. Ihr wird bleibender Respekt entgegengebracht, unabhängig vom persönlichen Verhalten. Kommt ein Missionar aus einer Schuldkultur, bewertet er den Status eines Menschen nach dessen Leistung. Mit kritischem Blick wird der Andere beäugt und beurteilt.
Können Sie sich vorstellen welche Spannungen sich ergeben, wenn sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen begegnen? Joachim König hat es selbst erlebt…
Die Hitze flimmerte über den Dächern von Kratie, Kambodscha. Es war Samstag, 14 Uhr, die heißeste Zeit des Tages. Die vier Leiter der jungen Gemeinschafts-Gemeinde waren bereits da. Sie saßen im Halbkreis auf dem Boden. Jeder versuchte, so viel kühle Luft wie möglich vom Ventilator abzubekommen.
Auf der Holztreppe ertönten erneut Schritte. O Nein, der Gemeindekassierer, wollte auch an der Sitzung teilnehmen. In seiner Aufgabe war er zuverlässig und ehrlich. In geistlichen und seelsorgerlichen Fragen aber traute ich ihm nicht viel zu. Oft spürte ich Machthunger bei ihm und eine subtile Hinterlist.
Noch bevor er die Treppe erklommen hatte, stand ich vor der Tür. „Du willst doch nicht etwa zu uns?“ fragte ich ihn nicht besonders freundlich. „Heute sind nur die Leiter eingeladen, zu dieser Gruppe gehörst du nicht.“ Er lächelte mich asiatisch-freundlich an, drehte sich um und ging ohne ein Wort nach Hause.
Mehrere Wochen ließ er sich nicht anmerken, wie tief ich ihn verletzt hatte. Ich fühlte mich im Recht, schließlich war ich der Missionar…
Erst einige Monate später dämmerte mir die Größe meines Fehlers. Der Mann war bereits über 60 Jahre alt. Außerdem war er pensionierter Schuldirektor. Somit war er in doppelter Weise eine Respektsperson und mir „Neuling“ gesellschaftlich haushoch überlegen.
Einige Zeit später erteilte er mir „ganz nebenbei“ eine Nachhilfestunde in der wichtigen Frage, wie man ältere Personen kulturell angepasst kritisiert. „Wenn du etwas auszusetzen hast, lade die Person zum Essen ein. Dann sage beim Abschied beiläufig, welches Verhalten du von ihm wünschst. Sei gewiss, dass er diesbezüglich nie wieder einen Fehler machen wird.“ Dann war er schon wieder bei einem anderen Thema, aber ich wusste, wovon er gesprochen hatte…
So einfach wäre es gegangen. Ich kann dankbar sein, dass mein Fehler keine schlimmen Folgen nach sich gezogen hat. Und wie gnädig ist Gott, dass er mich trotz meiner kulturellen Ignoranz weiter in Kratie gebrauchte…
Joachim König