Für Ausländer kann es ein Schock sein, sich plötzlich in einer neuen Kultur wiederzufinden. Was hilft ihnen, im fremden Land heimisch zu werden?
Zugegeben, es ist schon ein paar Jahre her, dass ich mich auf den Weg machte, um in Taiwan als Missionarin zu leben. Die Erfahrungen jedoch, die ich als frisch gebackene Ausländerin machte, sind wohl universal.
Analphabetin!
Ich erinnere mich: Auf dem taiwanesischen Einwohnermeldeamt – ich soll die Formulare mit meiner neuen Adresse ausfüllen. Das kann ich aber nicht. Ich bin hier Analphabetin, denn alles wird in Chinesisch geschrieben. Das fühlt sich nicht gut an!
Zum ersten Mal im chinesischen Gottesdienst – ich allein inmitten vieler fremder Taiwanesen. Ich verstehe kein Wort. Was da wohl gesagt wird? Meine innere Unsicherheit wächst, der Druck auch.
Lernen wie ein Kleinkind
Eine Einladung zum Essen – es gibt Garnelen mitsamt Kopf, Augen, Fühlern und Beinchen. Ich fühle mich es schon unsicher, und dieser Anblick wirft mich vollends um – die Tränen fangen an zu laufen. Alle sind sehr besorgt. Aber was soll ich sagen? Dass mich der Anblick dieser Delikatesse aus der Bahn geworfen hat? Ich komme mir lächerlich vor und mache Ausflüchte.
Bei fast allem brauche ich in den ersten Wochen und Monaten jemand, der mir hilft. Ich fühle mich wie ein Baby, das nichts kann. So vieles stürmt auf mich ein, alles ist neu. Ich hatte nicht erwartet, dass mir der Anfang in Taiwan so schwerfällt.
Hoffen auf eine Freundin

Kerstin und ihre Freundin Bi-Lian mit Mann
Eines Tages klingelt das Telefon. Bi-Lian aus der Gemeinde ist dran. Sie würde sich gern mit mir treffen und mir beim Chinesisch lernen helfen. Sie kann nur wenige Brocken Englisch, ich kaum Chinesisch. Trotzdem haben wir Spaß zusammen.
Von nun an fahre ich jeden Freitag mit dem Rad zu Bi-Lian nach Hause. Ich bringe meine Unterrichtsbücher mit, oder sie kocht und ich stehe daneben und schreibe alles genau auf. Oder wir machen Musik – sie auf dem Klavier, ich auf der Geige ihrer Tochter. Dazu braucht man keine Sprache! Ach, wie gut das tut!
Zu Bi-Lian und ihrem Mann entwickelt sich eine Freundschaft, die bis heute hält. Sie sind für mich ein großer Segen und ein Vorbild. So mutig möchte ich auch sein, wenn ich in Deutschland auf Menschen treffe, die plötzlich Ausländer sind und meine Sprache noch nicht können!
Kerstin Richter
Kerstin Richter war von 1999 bis 2013 in Taiwan in der Gemeindegründung tätig. Jetzt arbeitet sie für OMF Deutschland als Missionsreferentin.