Ich stelle mir vor, wie Elizabeth Wilson am Ende eines weiteren Jahres den Kalender umblättert und seufzt. Sie hat im Spiegel einen kurzen Blick auf ihr inzwischen weißes Haar geworfen und sich gefragt, ob sie sich all die Jahre geirrt haben könnte? Vielleicht wollte Gott ja gar nicht, dass sie Missionarin würde. Hatte er sie womöglich vergessen?
Ein Lebensbild aus den Anfängen der China Inland Mission (CIM).
Ein unerfüllter Wunsch
In London hatte Elizabeth Wilson als junges Mädchen Hudson Taylor getroffen. Damals war er noch Medizinstudent gewesen mit dem Ziel, nach China zu gehen. In Tottenham besuchten sie zusammen Gebetstreffen, und Elizabeth wurde von Taylors Vision und Eifer angesteckt.
Sie verfolgte seine Karriere, als er seine medizinische Ausbildung abbrach und Richtung Osten aufbrach. Sie unterstützte eifrig die Arbeit Taylors und die China-Inland-Mission, die er gründete.
Als sie zwanzig Jahre gewesen war, hatte Elizabeth der Weltmission ihr Leben geweiht. Sie wünschte sich mehr als alles andere, Gott in China zu dienen.
Aber sie konnte nicht gehen. Ihre Geschwister heirateten, verließen das Zuhause und ließen sie mit ihren alten, invaliden Eltern zurück. Es war klar, dass sie zu Hause gebraucht wurde. Sie zeigte ihren Eltern auch nicht andeutungsweise, welches Opfer sie für sie brachte.
Doch als die Jahre dann vergingen – fünf, zehn, zwanzig, dreißig – fragte sie sich sicherlich manchmal, ob Gott sie vergessen hatte. Natürlich war das nicht der Fall. Durch diese Verzögerung vermehrte Gott Elizabeths Effektivität als Missionarin beträchtlich.
Elizabeth vergaß ihr Versprechen Gott gegenüber nicht. Sobald ihre Aufgabe für ihre Eltern abgeschlossen war, unternahm sie Schritte. Drei Wochen, nachdem ihr letzter Elternteil gestorben war, meldete sich die grauhaarige, 50jährige Elizabeth bei der China-Inland-Mission als „selbstunterstützende“ Missionarin.
Dort nahm man ihre Bewerbung sofort an. Am 18. März 1876 kam Elizabeth Wilson in Shanghai an und begann ihre Arbeit.
Der Nutzen grauen Haares
Den größten Teil ihres ersten Jahres verbrachte Elizabeth mit dem Lernen der chinesischen Sprache und Kultur.
Anschließend begleitete sie Hudson Taylor auf einer fünfmonatigen Reise zu den Missionsstationen in Chekiang. Taylors Frau beschreibt sie als „voller Energie und Heiterkeit“ während sie unterwegs waren, beflügelt, weil sie nun endlich das tun durfte, worauf sie so lange gewartet hatte.
Niemand hatte erwartet, dass Elizabeth auf der Reise von den Frauen so angenommen würde. Ihr silbergraues Haar war ihr größter Pluspunkt. Einheimische chinesische Christinnen liefen meilenweit auf ihren kleinen, schmerzenden, eingebundenen Füßen, um die „große Schwester“ zu treffen.
Sie waren davon überzeugt, dass Elizabeths silbernes Haar bedeutete, dass sie alt und weise wäre. In jeder Stadt, die sie besuchten, wurde sie gebeten, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu lehren.
Als erste ledige Frau im inneren Chinas
Nach dieser Reise arbeitete Elizabeth drei Jahre lang mit Frauen in dem recht bequemen Dorf Hankow. Doch als weit im Inneren Chinas eine Not aufbracht, war sie die erste, die sich freiwillig meldete.
Durch Elizabeths Alter, und weil sie eine Frau war, war es leichter für sie, in China zu reisen. Junge Männer aus Europa wurden misstrauisch beäugt. Sie könnten ja Spione ihrer Regierungen sein. Eine Frau wurde nicht verdächtigt. „Mutig, ernsthaft, dem Herrn hingegeben, wo immer auch die Not am größten war, dahin ging diese Frau,“ sagte Frau Taylor über sie.
In Han-Chung war die Not groß. Die frisch verheiratete Emely King war die einzige Missionarin im Umkreis von hunderten von Kilometern. Sie schaffte es einfach nicht, all die Frauen in der Umgebung zu unterrichten, besonders nicht, weil sie ein Kind erwartete.
Elizabeth und eine junge Frau namens Fausset entschlossen sich, ins Innere zu reisen – ohne europäische Begleitung, allein auf Gott vertrauend, dass er sie sicher dorthin bringen würde.
Das war keine Reise für Feiglinge! Es waren über eintausend Meilen von Hankow, wo Elizabeth lebte, bis Han-Chung. Sie reisten über Land und per Schiff. Im Februar 1880 brachen sie auf und kamen nach drei langen Monaten und vielen Gefahren wohlbehalten im Mai an. Elizabeth wurde auf einer benachbarten Missionsstation eingesetzt und unterrichtete dort täglich die Frauen. Im ersten Jahr wurden 18 einheimische Frauen getauft.
Als Emily im nächsten Jahr an Typhus starb, eilte Elisabeth an die Seite ihres Mannes George King und unterstützte ihn, auch, als er ein Jahr später noch seinen kleinen Sohn verlor.
Sie war immer dort, wo sie am nötigsten gebraucht wurde.
Acht wertvolle Jahre
Acht Jahre verbrachte Elizabeth in Han-Chung, bis Krankheit sie zwang, 1880 nach England zurückzukehren. Als sie China verließ, schrieb Hudson Taylor: „Ob sie kräftig genug sein wird, nach China zurückzukehren, was sie sich so sehr wünscht, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass ihr Leben dort ein enormer Segen war.“
Artikel aus dem Englischen übersetzt von der Webseite: http://www.bulletininserts.org/bulletininsert.aspx?bulletininsert_id=366